Auf dieser Seite möchten wir auf literarisch hochwertige, interessante Titel aufmerksam machen, die bisher noch nicht in deutscher Übersetzung erschienen sind, oder über Pitchingveranstaltungen informieren.
Einige Titel wurden im Lauf der Zeit von der Jury der Bestenliste »Weltempfänger« zur Übersetzung empfohlen (siehe weiter unten).
Alle vergangenen Bestenlisten finden Sie in unserem Archiv.
In der Pitching-Session am 3. März 2022 präsentierten Übersetzerinnen und Übersetzer deutschsprachigen Verlagen ihre literarischen Entdeckungen aus dem asiatisch-pazifischen Raum. Die Pitching-Session zielte darauf ab, die wichtigsten Partner von Übersetzungsprojekten zusammenzubringen: deutschsprachige Verlage, Verlage in der jeweiligen Region und Übersetzer*innen.
Die Pitching-Session fand online per Zoom statt.
Folgende Titel wurden vorgestellt, und weiterführende Informationen zu ihnen sind jetzt auf der Seite translatorforum.de auf Englisch zu finden:
- Anke Caroline Burger, Übersetzerin aus dem Englischen: »Scary Monsters« von Michelle de Kretser, Australien.
- Rebecca DeWald, Übersetzerin aus dem Englischen, Französischen und Spanischen (und umgekehrt): Kurzgeschichtensammlung »The Permanent Resident« von Roanna Gonsalves, Australien.
- Lydia Kieven, Übersetzerin aus dem Indonesischen: »Tembang dan Perang« von Junaedi Setyono, Indonesien.
- Gudrun Fenna Ingratubun, Übersetzerin aus dem Indonesischen: »Gentayangan« von Intan Paramaditha, Indonesien.
- Heike Patschke, Übersetzerin aus dem Japanischen: 1. »Shishiwataribana« von Masatsugu Ono, AT: Shishiwataribana — Das Kap der Löwen; 2. »Yôkame no semi« von Mitsuyo Kakuta, AT: Die Einsamkeit der Zikade, Japan.
- Kathrin Bode und Jörn Grundmann, Übersetzungen aus dem Chinesischen: Sammlung von Kurzgeschichten von Autoren und Autorinnen aus Hongkong, AT: Hongkonger Erinnerungsfiguren, Hongkong.
- Sabine Müller, Übersetzerin aus dem Indonesischen: »Orang-Orang« Oetimu von Felix K. Nesi, AT: Die Leute von Oetimu, Indonesien.
- Annette Hug, Übersetzerin aus dem Tagalog (Philippinen): »Aswanglaut« von Allan N. Derain, Philippinen.
Im Rahmen des Forums sollen literarische Übersetzer*innen zusammengebracht und Personen und Organisationen vorgestellt werden, die sich in der Welt der Literatur und der Förderung von Übersetzungsprojekten bestens auskennen. So entstehen ein regionsübergreifendes Netzwerk literarischer Akteure und neue Begegnungsräume für Verlage.
Das Translator Forum ist ein Projekt der Frankfurter Buchmesse und der Jakarta Content Week, unterstützt durch das Auswärtige Amt.
WELTEMPFÄNGER 49 / Winter 2020
Ein bisschen surreal ist Liebe ja immer – in besonderem Maß aber, wenn Zhang Yueran sie beschreibt. Da liebt eine Mittelschülerin ihren mageren Verehrer, eine Autorin ihren schwulen Ex-Freund und auch mal ein Geist den anderen. Zehn bewölkte Träume aus China. Hypnotisierende Lektüre.
WELTEMPFÄNGER 48 / Herbst 2020
Als Sechsjährige floh die Autorin mit ihrer Familie vor der Pinochet-Diktatur nach Kanada. Wenige Jahre später kehren sie zurück, und die volljährige Carmen schließt sich der Widerstandsbewegung an. In ihren Memoiren schildert sie das Leben einer Heranwachsenden, das sich in vielerlei Hinsicht gravierend von dem ihrer Altersgenossinnen unterscheidet, auf sehr ehrliche und humorvolle Weise.
WELTEMPFÄNGER 46 / Frühling 2020
Der tragikomische Roman spielt während des libanesischen Bürgerkriegs. Protagonist Pavlov will die Menschen bestatten, denen eine traditionelle Beerdigung verweigert wird. Temporeich, stellenweise makaber, aber auch sensibel schreibt Hage über die ausgestoßenen Bewohner*innen einer kriegsgebeutelten Stadt.
WELTEMPFÄNGER 45 / WINTER 2019
Wäre der junge Polynesier Atile’i nicht auf einer riesigen Müllinsel gelandet – er wäre im Pazifik ertrunken. So aber treibt er auf dem Müllgespinst bis an die taiwanesische Küste, wo er der lebensmüden Alice Shih begegnet. Ein poetischer Roman über eine ökologische Katastrophe und ein gemeinsames Abenteuer.
WELTEMPFÄNGER 42 / FRÜHLING 2019
Der palästinensische Autor Osama Alaysa, 1963 im Westjordanland geboren, erzählt in diesem Roman vom eigenen kulturellen Erbe und der Gegenwart des israelisch-palästinensischen Konflikts. Auf besonders sensible Weise und sehr zugänglich auch für westliche Leser*innen.
WELTEMPFÄNGER 41 / WINTER 2018
»Östrogene« (Estrógenos) spielt in der Zukunft, in der die Frauen sich weigern zu gebären und Männer schwanger werden können. Eine Dystopie, präzise in ihren Beobachtungen der Geschlechter. Martin zeichnet ein düsteres Zukunftsbild, das gleichzeitig voller Hoffnung ist.
WELTEMPFÄNGER 40 / HERBST 2018
Ständig in Bewegung – das ist Vietnam seit der marktwirtschaftlichen Öffnung 1986. Umtriebig sind daher auch die Figuren in den neunzehn jungen, frischen Geschichten dieser Anthologie. Auch eine Erzählung der diesjährigen Liberaturpreisträgerin Nguyen Ngoc Tu ist dabei. Ihre Hauptfigur: eine Tramperin.
WELTEMPFÄNGER 38 / FRÜHLING 2018
Nach dem Tod seines Vaters schlüpft der Erzähler in dessen Haut. Dabei
verschränkt er den Nekrolog auf den Vater mit seiner eigenen Biographie,
erzählt die Geschichte Marokkos von der Befreiung bis heute. In kurzen
Sätzen und klaren Worten.
WELTEMPFÄNGER 37 / WINTER 2017
Die zweisprachige Lyrik-Anthologie (Tamil/Englisch) versammelt die Gedichte dreier prominenter und rebellischer Lyrikerinnen aus Tamil Nadu, die kühn weibliche Lebenswelten erkunden und tradierte Rollenbilder hinterfragen.
WELTEMPFÄNGER 36 / HERBST 2017
Helim Yusiv gilt als einer der renommiertesten kurdischen Romanciers. In seinen auf Kurdisch geschriebenen Werken gelingt es ihm, die Atmosphäre der Angst in dem Viereck zwischen Syrien, der Türkei, dem Irak und Iran, greifbar zu machen. Leseproben auf Deutsch und Englisch bei Litprom.
WELTEMPFÄNGER 35 / SOMMER 2017
Das Fußballteam eines arabischen Emirats qualifiziert sich für den World Cup. Der Emir schickt alle Emiratis nach Frankreich zum Jubeln. Zurück bleiben die vielen ausländischen Dienstboten. Was werden sie mit ihrer Freiheit anfangen? Ein kluges, Dynamik entwickelndes Gesellschaftsporträt.
WELTEMPFÄNGER 34 / FRÜHLING 2017
Antoine Sorel hat sich in Le Havre aus dem Fenster gestürzt. Wer war dieser Autor, der vietnamesische Wurzeln hatte? Ein Journalist macht sich auf Spurensuche und befragt Freunde, Familie und Geliebte.
So entsteht das hochfeine, brüchige und sehr berührende Porträt eines heimatlosen Toten.
WELTEMPFÄNGER 33 / WINTER 2016
»Ippadikku evaal« erweist jener Eva Hommage, die einst verbotene Früchte vom Baum der Erkenntnis aß. Auch Sukirtharani – Dalitdichterin und Sozialaktivistin – tut Verbotenes: In kühnen Worten kartografiert sie den weiblichen Körper, das Leben der Dalits, Ausbeutung und Diskriminierung – ohne Bitternis, mit Sprachwitz und Humor.
WELTEMPFÄNGER 30 /FRÜHJAHR 2016
Eine Mutter, die für ihre Tochter Geschichten der Kindheit erzählt. Ein junger Mann unterwegs mit Mord- und
Terror-Gedanken. Ein Findelkind als einziger gesunder Junge in einem Waisenhaus. Drei Lebensgeschichten im nächtlichen Delhi, atmosphärisch dicht, fast pointillistisch erzählt, ganz auf die Innenwelten konzentriert wie Raj Kamal Jhas Bestseller Das blaue Tuch. Aber stärker als das Debüt ist dieser vierte Roman durchwirkt mit politischen Zeichen der Zeit, von der Medienkritik bis zum Terrorismus.
WELTEMPFÄNGER 29 / WINTER 2015
Sahar El Mougy, Dozentin für englische Literatur an der Universität Kairo, schildert – beginnend mit dem 11. September 2001, endend mit dem Skandal in Abu Ghraib 2003 – in provokanter, da freizügiger Weise die Lebenswege dreier Frauen, die inmitten einer patriarchalen Gesellschaft auf die eigene Freiheit und Unabhängigkeit bestehen.
WELTEMPFÄNGER 28 / HERBST 2015
18 Spoken-Word-Texte, die Nair bereits öffentlich performt hat. Er erzählt von den Peinlichkeiten des Schwimmenlernens, der euphorisierenden Wirkung von Pizza und von seinem Bart, der mit Terrorismus nichts zu tun hat. Er zeigt, wie fragil Männlichkeit sein kann, und wie schwer es ist, Liebe auszudrücken. Kraftvolle Prosagedichte, drängend und heutig, grundiert von einer feinen, unstillbaren Sehnsucht.
WELTEMPFÄNGER 27 / SOMMER 2015
Christantys Figuren sind Menschen von nebenan. Sie leben mit ihren politischen Traumata und ihrer Einsamkeit, sie kämpfen gegen religiösen Starrsinn, gegen Ungerechtigkeit, für eine bessere Zukunft. Ihre Familiengeschichten erzählen Indonesiens politische Geschichte.
WELTEMPFÄNGER 25 / WINTER 2014
Zehn Kurzgeschichten aus den Jahren 1980–2014 erlauben (aus vorwiegend weiblicher Perspektive) atmosphärischen Einblick in Lebensfragen und literarische Vorlieben in Zeiten politischer Repression.
WELTEMPFÄNGER 24 / HERBST 2014
Aufregendes Debüt einer jungen Autorin. Aus der Perspektive der Außenseiterin Joy entfaltet sich eine Geschichte, die vom Benin/Nigeria im 18. Jahrhundert bis ins London der 1950er Jahre reicht.
WELTEMPFÄNGER 23 / SOMMER 2014
Erzählt werden aus der Sicht eines Kleinkindes die kleinen und großen Dramen einer neunköpfigen Familie – und dazu unzählige weitere Geschichten, ausgehend von winzigen Details wie einem Kaffeefleck auf einem Sitz, der letztlich jemandem das Leben rettet. Skurril, mit viel Tempo und schrägem Witz schlägt der Roman die Leser in seinen Bann.
WELTEMPFÄNGER 22 / FRÜHJAHR 2014
Die unheilvolle Begegnung zwischen einem Nomaden-Mädchen und einer Gruppe Exil-Pakistaner, die in der
nördlichen Grenzregion Pakistans einen Gletscher erforschen. Gekonnt spiegelt Khan anhand der Natur die
kulturellen Brüche des Landes.
WELTEMPFÄNGER 21 / WINTER 2013
Die zehn Erzählungen des jungen Kairoer Autors Mahmoud Tawfik spielen auf der Straße, im Theater oder in der Sauna. Dort treffen seine Figuren in kammerspielartiger Verdichtung aufeinander. Berufliches Scheitern, mutlose Liebe und ihr Hadern mit der Revolution werden offenbar. Melancholie umweht die Geschichten, die jedoch gekonnt durch viel Alltagssprache und subtile Ironie aufgefangen wird.
WELTEMPFÄNGER 20 / HERBST 2013
Der Autor entwirft ein Szenario der Wiedervereinigung der beiden Koreas. Die Probleme, denen sich Deutschland nach der Wende stellen musste, fließen ebenso ein, wie seine intime Kenntnis des nordkoreanischen Totalitarismus. Eine reale Dystopie, die den Fiktionen eines George Orwell oder Arthur Koestler in nichts nachsteht.
WELTEMPFÄNGER 19 / SOMMER 2013
Die Freunde Parang Jati und Sandi Yuda gehen zusammen in den javanischen Bergen klettern und diskutieren den richtigen Umgang mit der Natur und den Naturgeistern. Doch wer an Naturgeister glaubt, hat es schwer mit dem sich in Indonesien verschärfenden Islam. Ayu Utami hat ihre Freundschaftsgeschichte mit verschiedenen Sachtexten angereichert und auf diese Weise einen ausgesprochen komplexen Roman vorgelegt.
WELTEMPFÄNGER 17 / WINTER 2012
Theravada Man, der erste Teil einer Trilogie zur Geschichte Sri Lankas, spielt in den 1920er Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Ein Schullehrer aus den Backwaters und frommer Buddhist will heiraten und lernt dadurch eine Welt kennen, von der er nicht einmal wusste, dass sie existiert – zwischen Astrologie und englischer Kolonialkultur, philosophischen Diskussionen und einer umfangreichen Nachkommenschaft.
WELTEMPFÄNGER 16 / HERBST 2012
Ein heruntergekommenes Warenhausensemble in Taipei: Wu Mingyi erzählt von neun Kindern, die hier zwischen Schuhverkäufern, Änderungsschneidern und Schlossern aufwachsen. In dieser Umgebung stillen Verfalls führt ein geheimnisvoller Zauberer seine Kunststücke vor. Hier erleben die Kinder sonderbare, häufig traumhafte Dinge.
WELTEMPFÄNGER 15 / SOMMER 2012
Der Ingenieur Sok-Chun und die Sängerin Soon-Hwi wollen sich scheiden lassen. Sein Alltag in der Fabrik und ihr künstlerischer Ehrgeiz klaffen zu weit auseinander. Ein Roman über die Liebe, die Ehe und den Alltag in Nordkorea. Po˘ t erlaubt einen seltenen Einblick in ein weitgehend unbekanntes Land. Ins Französische ist der Roman bereits übersetzt.
WELTEMPFÄNGER 13 / WINTER 2011
Eine der ersten Graphic Novels Indiens. Abdul Sultan erzählt darin die Geschichte zweier ungleicher Brüder, der eine säkular, der andere fanatisch-islamistisch, dessen Radikalisierung zum Untergang der Familie führt. Die Zeichnungen von Partha Sengupta sind, wie es sich für das Genre gehört, von ausgezeichneter Qualität.
WELTEMPFÄNGER 11 / SOMMER 2011
Obwohl das Land voller Stoff für kriminalliterarische Bearbeitung ist, steckt die Kriminalliteratur noch in den Kinderschuhen. Der in Thailand lebende, Thai sprechende und denkende kanadische Romancier zeigt in seiner Anthologie Bangkok abseits der Klischees und im Zwiespalt zwischen Tradition und globalisierter Moderne.
WELTEMPFÄNGER 10 / FRÜHJAHR 2011
In diesem Buch, erschienen im eigenen Verlag, verleiht der junge Autor, selbst ein radikaler Spracherneuerer, dem Wunsch seiner Generation nach mehr Freiheit und Demokratie so lakonisch wie melancholisch Ausdruck.
WELTEMPFÄNGER 6 / FRÜHJAHR 2010
Bi-Hu ist Artist, Tierpfleger und Zuckerwatteverkäufer in einem taiwanesischen Zirkus. Irgendwann reißt der junge Mann aus und geht nach Europa, wo er ebenfalls bei einem Zirkus anheuert – und einem jungen Franzosen verfällt. Ein bildreicher, emotional dichter Roman voll untergründiger Erotik.
WELTEMPFÄNGER 5 / WINTER 2009
In ihrem neuen, auf Chinesisch erschienenen Buch „Big River, Big Sea“ deckt die Essayistin Lung Yingtai die seit über 60 Jahren verborgenen Wunden auf, die der chinesische Bürgerkrieg hinterlassen hat. Lungs Eltern gehörten selbst zu den zwei Millionen Chinesen, die Ende der1940er Jahre vor den Maoisten nach Taiwan flohen. Ein intensives und schmerzhaftes Buch, das auf zahlreichen Interviews basiert. In Taiwan ein Bestseller, in China verboten.
WELTEMPFÄNGER 4 / HERBST 2009
Die Kurzgeschichten der mehrfach ausgezeichneten südafrikanischen Autorin erzählen gekonnt von Menschen, die auf dieser Weltkarte erst ihren eigenen Platz im Leben und den richtigen Platz füreinander finden müssen.
WELTEMPFÄNGER 3 / SOMMER 2009
Endlich mal wieder ein Roman aus Saudi-Arabien, der nicht westliche Empörung bedient, die Brutalität des Alltags aber umso intensiver einfängt mit phantasmagorischen Szenen von großer Sinnlichkeit.
WELTEMPFÄNGER 2 / FRÜHJAHR 2009
Eine Insel der Seligen scheint das kleine Königreich Bhutan. In dem die Heldin dieses Buchs sich nichts sehnlicher wünscht als Lesen, Schreiben und Religion zu lernen. Wie die Männer. Mutig macht sie sich auf einen langen Weg, der gleichzeitig eine Reise zu sich selbst ist. In einfacher klarer Sprache so geschrieben, dass das Lesen selbst zu einer spirituellen Erfahrung wird, jenseits von jeder Ratgeber-Esoterik.
Claudia Gronemann, Professorin für romanische Literaturen an der Universität Mannheim, empfiehlt den Roman für eine Übersetzung ins Deutsche:
Das Besondere an diesem Buch ist die sprachgewaltige Darstellung des Krieges, verbunden mit einer atemberaubenden Odyssee über mehrere Kontinente, aus der Sicht der Hauptfigur Shar und vermittelt über einen erzählerischen Rahmen. Shar ist Analphabet, aber ein begnadeter Redner und jemand, der alle einwickeln kann. Dies ist Teil seines infamen Charakters, der uns in Form eines mündlichen, unzuverlässigen Berichts Seite für Seite vorgeführt wird. Erst darin finden die Gräuel ihren Ausdruck: nicht durch nackte Benennung, sondern die Barbarei der ironisch-lässigen pikaresken Ausdrucksweise eines Betrügers, der allen seine Sichtweise aufdrängt. Doch Shars falsche Version wird durch die Rahmenerzählung entlarvt. Darin spricht ein junger Schriftsteller, der Sohn eines von Shar verratenen Kampfgefährten, und er bringt den Brief seines Vaters ins Spiel. Shar aber täuscht sogar seinen Tod vor und verfolgt heimlich den jungen Autor, der seine Version der Dinge veröffentlichen will – ein wahrer Krimi beginnt.
Kebir Ammi wurde in Marokko geboren, seine Mutter ist Marokkanerin, sein Vater Algerier. Seit über 30 Jahren lebt Ammi in Frankreich.
Gutachten und Probeübersetzung liegen vor und können angefordert werden: litprom@buchmesse.de
Kebir M. Ammi: »Un génial imposteur«. Roman, Mercure de France 2014, 256 Seiten, ISBN: 782715234895
Herr Ammi, Ihr neuester Roman „Ein genialer Betrüger“ erzählt vom Aufstieg und Fall eines Algeriers, einem Verwandlungskünstler, der an vielen Fronten kämpft und sein Fähnlein stets nach dem Wind zu hängen weiß. Das einzig Beständige an Shar ist seine Niedertracht. Seine Flucht führt ihn um die Welt, er kämpft in Indochina gegen die Franzosen, geht in den algerischen Maquis, wechselt dann zur OAS, bevor er schließlich im unabhängigen Algerien Karriere im Staatsapparat macht. Was reizt Sie an einem solchen Antihelden?
Für mich wurde durch ihn darstellbar, was an Unbegreiflichem während des Algerienkriegs passiert ist. Ich wollte den Kampf für die Unabhängigkeit nicht glorifizieren, das ist nicht Aufgabe des Schriftstellers. Ich habe versucht, einen schwierigen und komplexen Moment der algerischen Geschichte zu verstehen. Es gibt nicht nur Helden auf der einen und Verbrecher auf der anderen Seite. Mir diente eine reale Person als Vorlage: ein intelligenter Typ mit Gespür, aus ärmlichen Verhältnissen, der in jungen Jahren viel erlitten hat – die Franzosen waren nicht zimperlich während der Kolonialzeit! Er ist viel gereist, konnte gut reden und hatte Charisma. Ich glaube, er wollte wirklich für die Befreiung seines Landes eintreten, aber eines Tages dachte er, die Franzosen werden den Krieg gewinnen und ist auf ihre Seite übergelaufen, am Vorabend der Unabhängigkeit dann wieder zurück ins algerische Lager. Er hat alle manipuliert. Alle hielten ihn für einen Helden, aber er war ein Trickser, ein genialer Betrüger! Er ist nie aufgeflogen und hatte ein erfülltes Leben; mehrere Regimewechsel hat er unbeschadet überstanden.
Glauben Sie, die Zeit ist reif, um sich der Vielschichtigkeit dieser Ereignisse zu stellen?
Auf jeden Fall! Dringend. Man kann sich doch nicht mit offiziellen Reden und Arrangements der Mächtigen begnügen. Es gibt ganz gefährliche Verkürzungen in der Darstellung der Geschichte. Es gibt tiefe Verletzungen, Lücken, Unausgesprochenes. Ein Schriftsteller muss die Dinge ohne Umschweife benennen.
Durch Ihre zahlreichen Lesungen haben Sie auch in Deutschland bereits eine Leserschaft gefunden. Ihre Romane sind allerdings nicht in deutscher Übersetzung erhältlich, und das obwohl Sie als Romancier in Frankreich seit Jahren einen Namen haben. Was könnte einen deutschen Verleger an Ihren Roman reizen?
In meinen Büchern habe ich Elemente der Geschichte aufgespürt, von der Antike bis heute, denen nicht viel Aufmerksamkeit zuteil wurde – denken Sie an Augustinus und Apuleius in meinen Romanen. Das ist auch für deutsche Leser interessant. Themen wie Krieg, Gut und Böse. Den Deutschen ist all das bekannt und sie haben sich, scheint mir, ihrer jüngeren Geschichte gestellt. In Algerien und in Frankreich hingegen hat man es nicht geschafft, die tragischen Ereignisse des Algerienkrieges in ihrer Komplexität zu beleuchten. Wenn über diese Zeit gesprochen wird, dann meist sehr vereinfachend, schematisch. Man wagt nicht, das Unpassende auszusprechen. Erst die Figur des Shar hat mir erlaubt, das Bewusstsein eines Mannes auszuloten, der bis zum Äußersten geht. Ohne dabei einen moralischen Ton anzuschlagen. Eine weitere Figur ist Jok, der für die Nazis gekämpft hat, bevor er zur Befreiungsarmee kam. Und der war beileibe nicht zart besaitet! Das Schreiben erlaubt mir, Dinge neu abzustecken und einen Gegendiskurs zu schaffen. Auf diese Suche nach dem verborgenen Sinn würde ich gern auch die Leser in Deutschland mitnehmen, wo ich mich nach den verschiedenen Lesungen fast schon ein wenig zu Hause fühle.