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Der 51. Weltempfänger bewegt sich zwischen Heimat und Aufbruch, Widerstand und Sehnsucht. Sehr persönliche Geschichten erzählen von der Suche nach der eigenen Herkunft und der Emanzipation von kolonialem Erbe. Sechs Autorinnen und ein Autor verhandeln Familienbande, Korruption, Exil und Transfeindlichkeit.
Um den Mord an Richter Berthier aufzuklären, seziert Yanick Lahens in »Sanfte Debakel« die korrupte Gesellschaft Haitis. Die im Band »Lieder für die Feuersbrunst« versammelten Erzählungen von Juan Gabriel Vásquez handeln von der Gewalt in Kolumbien und seinem Exil. Jamaica Kincaid erfindet in »Mr. Potter« den Vater, den sie nie kennengelernt hat. Die gealterte Momoko hingegen kehrt in »Jeder geht für sich allein« von Chisako Wakatake durch Selbstgespräche im vertrauten Tôhoku-Dialekt in ihre nordjapanische Heimat zurück. Indes behaupten in Oyinkan Braithwaites Lockdown-Roman gleich zwei Frauen: »Das Baby ist meins«. In einer persönlichen Herkunftsrecherche begibt sich Jessica J. Lee auf die natur- und kulturhistorischen Spurensuche der lange kolonialisierten Insel Taiwan. Im Widerstand gegen die Verachtung der Gesellschaft feiert Camila Sosa Villadas Protagonistin »Im Park der prächtigen Schwester« ihre Transidentität.
Port-au-Prince, Haiti: Richter Berthier wird ermordet. Warum? Die Autorin fächert anhand eines kunstvoll ineinander übergreifenden Figurenensembles die (korrupte) Gesellschaft Haitis auf. Eine feministische Erzählung, die die verschiedenen Einflüsse in einer atmosphärisch dichten Sprache benennt und verbindet. Andreas Fanizadeh
Autobiographisches verrät er von seinem Exil, z.B. über Polanski. Direkt schildert er die Gewalt in Kolumbien, bis zur Unerträglichkeit. Subtiler erzählt er von Schuld und Täuschung; anklagend von Feigheit; pathetisch von einer Kämpferin für die Freiheit. In neun Erzählungen zeigt Vásquez die gesamte Bandbreite seines Könnens. Ruthard Stäblein
Mr. Potter ist Analphabet und Kincaids Vater, aber sie kennen sich nicht, also erfindet sie ihn: »… ich kann meinen Namen und noch vieles mehr lesen und schreiben, jetzt kann ich mir selbst in schriftlicher Form von Mr. Potter erzählen …«. Das gelingt ihr meisterlich, in unverwechselbarem Sound. Anita Djafari
Sie horcht in sich hinein. Seit sich die 74-Jährige nicht mehr bewegt, ist da allerhand los. Alle sind tot, aber die Stimmen werden immer lauter. In der deutschen Übersetzung sprechen sie Erzgebirgisch. Momoko ist allein in Tokio, und sie hört den Dialekt der Provinzheimat. „Måch morr’s fesd“, so schön klang der Heiratsantrag von Shuzo. Jörg Plath
Chisako Wakatake: »Jeder geht für sich allein«. Eine Japanerin erzählt auf Vogtländisch. »Die 74-jährige Momoko schaut zurück auf ihr unspektakuläres Leben. Je stärker sie nachdenkt, desto häufiger drängt ihr nordostjapanischer Heimatdialekt hervor. Für die deutsche Übersetzung wurden diese Passagen ins Vogtländische übertragen.« Ein Beitrag von Katharina Borchardt auf deutschlandfunkkultur.de
Die Krise als Chance? Zumindest eine »kleine« Geschichte mit großer Sprengkraft: Klug und gewitzt nutzt Oyinkan Braithwaite den Lockdown in Lagos /Nigeria, um mal eben — spielerisch — die Geschlechterverhältnisse umzukehren. Ulrich Noller
Eiland als Allegorie: In ihrer ganz persönlichen Herkunftsrecherche erlebt die kanadische Umwelthistorikerin Jessica J. Lee das unterirdisch brodelnde, üppig sprießende und politisch umkämpfte Taiwan. Prekäre Heimat mitten im Meer. Spannende Migrationsgeschichte trifft feinstes Nature Writing! Katharina Borchardt
Die Erzählerin nimmt uns mit in die Nachtwelt der Paradiesvögel, der Ausgestoßenen, derjenigen, die sind wie sie: trans. Dort feiert sie das Leben und die Liebe im Widerstand gegen die Verachtung der Gesellschaft. Tagsüber studiert sie Literatur und schreibt sich in unfassbar schöner Sprache raus aus der elenden Pracht. Anita Djafari
* nominiert für den LiBeraturpreis 2022
** Die Übersetzung der Titel wurde unterstützt durch Litprom mit Mitteln des Auswärtigen Amts
Die Jury: Katharina Borchardt, Anita Djafari, Andreas Fanizadeh, Claudia Kramatschek, Ulrich Noller, Jörg Plath und Ruthard Stäblein
Kontakt
Marcella Melien
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