Empfehlungen

Lesempfehlungen für Kinder und Jugendliche

Hier präsentieren wir ganz besondere Schätze der Literatur für Kids und Teens.

Sie möchten uns auf ein Buch aufmerksam machen? Gern: kassler@buchmesse.de


Lese-Slow Food bester Güte

Matías Acosta: »Die Sommergäste / Las visitas del verano«. Zweisprachig Deutsch – Spanisch.

Aus dem Spanischen von Jochen Weber. Baobab Books, 2021. Ab 5 Jahren. 

Solche Bücher für die ganz Kleinen sind meine Lieblingsbücher! «Wunderschöne, sprechende Bilder, viel Platz für die eigenen Gedanken, Inhalt zum Selbstgestalten. Die wenigen Worte zweisprachig, toll. Thema: Achtsamkeit, Freundschaft, Akzeptanz.

Auf einem alten Flugplatz wird ein einsamer Mann in seiner sommerlichen Ruhe gestört. Lärmende Wildgänse sind gelandet, und das passt ihm gar nicht. Er versucht alles, um die aufdringlichen Besucher loszuwerden. Natürlich lassen sie sich nicht verscheuchen, sondern vereinnahmen den Mann, der sich schießlich in sein Schicksal fügt. Statt aber jeden Tag genervt zu sein, gewöhnt er sich an seine Gäste, richtet sich mit ihnen buchstäblich ein und beginnt, für sie zu sorgen. Zusammen haben sie eine prima Zeit. Dann kommt der Herbst, auch noch zu früh, und der Gastgeber weiß, dass seine Freunde vor dem Winter eigentlich weiterziehen müssten, was sie anscheinend nicht wollen ... Zum Glück hat er einen guten Einfall. Und kehren denn Zugvögel nicht auch zurück?

Auf der Website des Baobab Verlags erzählt der Autor in einem kurzen Film auf Englisch die Entstehungsgeschichte des Buches; man kann verfolgen, wie die Geschichte zum Leben erweckt wird und erfährt, was der Auslöser war: Naturbeobachtungen, das Stehenbleiben um Veränderungen der Umwelt wahrzunehmen. Es sei Zeit, innezuhalten, alles zu verlangsamen »it’s time to slow down our base«, sagt Matías Acosta — das Buch sei ebenfalls langsam entstanden, viel hin und her gewandert, zudem im Süden geboren und im Norden veröffentlicht, »wie eine Wildgans«.

Ein wunderbar bebildertes, echtes »Slow Book« voller Anregungen und Gesprächsimpulsen für neugierige Kleine, ein Buch zum Weiterdenken und -reden, den Globus kann man schon mal abstauben und eine passende Internetseite über Zugvögel raussuchen.

Petra Kassler

Auf der Website des Verlags Baobab Books kann man sich das Buch auch zweisprachig vorlesen lassen.


Die Faszination des gedruckten Wortes

Hassan Zahreddine: »​ZIN. Eine Geschichte aus dem Libanon«​

Aus dem Arabischen von Leila Chammaa. Baobab Books, 2022. Ab 6 Jahren.

»Wie heißt du?«, wurde der Junge gefragt. »Zineddine«, antwortete er. »Das sind zu viele Buchstaben. Der Meister hat nur drei.«

So beginnt Zins erster Tag in der Druckerei. Dort arbeitet er fortan als Aushilfe, um seine sechsköpfige Familie zu unterstützen. Für die Schule bleibt da keine Zeit mehr. Doch nach und nach lernt er die Zeichen und Buchstaben kennen, die er aus dem Setzkasten aneinanderreiht und für den Druck fertigmacht. Begeistert von den Wörtern und Sätzen, die auf dem Papier entstehen, gefällt Zin seine Arbeit mehr und mehr.
Eines Tages fällt ihm ein Flugblatt in die Hand, das er selbst gedruckt hat. Als er liest, was darauf steht, beginnt er zu verstehen, welche weitreichende Bedeutung Worte haben können.
In feinen dunklen Strichen der Mezzotinto-Technik erzählt der libanesische Druckkünstler Hassan Zahreddine die Geschichte aus der Kindheit seines Vaters im Libanon der 1940er Jahre und des Erwachsenwerdens unter erschwerten Bedingungen. Der düster anmutenden Stimmung wird zum Ende mit der Hoffnung auf sich ändernde Lebensumstände begegnet.

Lea Herlitz

Mehr zum Mezzotinto-Verfahren erfährt man auf der Website des Verlags, in einem kurzen Film, in dem der Autor die Technik vorführt.


Sonnenlicht im Nebel

Agnès de Lestrade (Text) / Valeria Docampo (Ill.): »​Die Schneiderin des Nebels«​

Aus dem Französischen von Anna Taube. Mixtvision, 2018. Ab 5 Jahren und für Erwachsene. 

Die Geschichte beginnt mit einem Mädchen namens Rosa, das am Flussufer steht und mit einem großen Netz geschickt den Nebel einfängt. Sie packt den Nebel in ihren Sack und webt damit schöne Stoffe und Kleidungstücke, Vorhänge und Teppiche. Ihre Kreationen sind beliebt und die Menschen stehen Schlange, um sie zu bekommen, und sie äußern Wünsche, was sie bekommen möchten. Doch Rosas Produkte sind vergänglich und müssen immer wieder ersetzt werden. Sie ist fleißig und so produktiv, dass letztendlich das ganze Land mit einem Nebelschleier bedeckt ist.
Eines Tages passiert dann etwas Überraschendes, etwas das Rosas Welt aus den Fugen geraten und sie in die früheren Tage ihrer Kindheit zurückfallen lässt. Sie bekommt einen Brief ihres Vaters, der sie an eine vergangene Zeit erinnert. Gemeinsames Familienglück, gemeinsames Lachen, Streit, das Verschwinden des Vaters, die Stille der Mutter. Die Leere. In dem Brief steht: »Auch wenn du mich nicht siehst, bin ich da. Für dich bin ich immer da. Ich komme am Sonntag in acht Tagen. Warte auf mich. Papa.«
Wie die Geschichte ausgeht, wird nicht verraten, aber sie zeigt uns, wie die Beziehungsprobleme der Großen auf die Kleinen abfärben. Das Buch ist somit nicht nur für Kinder, sondern gleichzeitig ein kleines Lehrstück für Erwachsene. Der Verlag Mixtvision hat ein schönes Buch herausgebracht, bei dem die Illustrationen der argentinischen Künstlerin Valeria Docampo besonders hervorzuheben sind. Sie schafft es mit feinen Strichen und Farbtönen, traumhaft anmutende Bilder zu zeichnen, die die vielfältige Gefühlswelt von Rosa grandios widerspiegeln.

Joscha Hekele


Die Phantasie ist eine Freigängerin

Nabiha Mheidly (Text) / Walid Taher (Ill.): »​Der Schriftsteller und die Katze«

Aus dem Arabischen von Petra Dünges. Susanna Rieder Verlag, 2020. Ab 5 Jahren.

Wie kommt ein Autor immer zu seinen Figuren und darauf, was diese dann anstellen sollen? Das fragen sich bestimmt viele Kinder (und nicht nur die). All jenen empfehle ich: Lest mal das mit feinen Strichen sehr lebendig bebilderte Buch »Der Schriftsteller und die Katze«, dann kommt Ihr vielleicht dahinter und erlebt außerdem mit, wie eine Idee Gestalt annimmt, wie die Gestalt sich verselbstständigt und wie sie einfach das tut, was sie will.
Der Autor lässt seiner Phantasie freien Lauf — seine Idee ist eine Katze geworden, eine selbstbewusste und coole Katze, die durch die Geschichte tigert und allerhand Abenteuer erlebt. Der Schriftsteller hat ganz ordentlich zu tun, die Erlebnisse seiner Heldin zu notieren, mitzufühlen und mitzubangen. Klar gibt es ein Happy End. Und dann möchte die Katze aber frei sein, wie jede Katze — sie möchte nicht nur in dieser einen Geschichte leben, sondern streunt aus ihr heraus. Da bleibt ihrem Erfinder nichts anderes übrig, als hin und wieder nach ihr Ausschau zu halten oder sie zwischen anderen Buchdeckeln zu vermuten. Sicher wird ihm bald eine neue Idee zulaufen!
Nett ist die direkte Ansprache der Leser*innen im Text und das Einbeziehen des*der Betrachter*innen, die Teil des kreativen Prozesses werden können: »Was meinst du, welche Gestalt am besten zu meiner Geschichte passte?«. So eignet sich das Buch auch prima zum Vorlesen, Mitüberlegen und Dabeisein, wie Ideen kommen und gehen.
Es ist ursprünglich im Libanon auf Arabisch erschienen, wie die Übersetzerin Petra Dünges zum Schluss erklärt. Für alle Leser*innen, die gern genau hingucken: Auf einer Seite geben die Schreibrichtung und die Schriftzeichen des Schriftstellers einen Hinweis, wo die Handlung angesiedelt ist.

Petra Kassler

Und wer dazu noch etwas schauen möchte:
https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/kinderbuchtipp-der-schriftsteller-und-die-katze-100.html


Zeichen, die erzählen können

Yi Meng Wu: »​Yaotaos Zeichen«​

Kunstanstifter, 2017. Ab 6 Jahren.

Auf dem Dachboden ihrer Großeltern in Frankreich findet Lucie einen Koffer. Als sie ihn öffnet, fliegen ihr bunte, fremdartige Zeichen entgegen und nehmen sie mit ins China der 1930er Jahre. Lucie taucht tief in die Geschichte ihrer Familie ein. Begleitet von den Zeichen für Wasser, Erde, Osten und Westen erfährt sie vom Aufbruch ihres Urgroßvaters Yaotao, der wie viele andere aus China nach Frankreich migriert, um dort zu studieren.
Yaotao muss sich in der neuen Kultur und Sprache zurechtfinden, doch als er Laurence kennenlernt, scheint plötzlich alles viel leichter zu gehen. Als ihr Sohn Francois-Hua auf die Welt kommt, beschließen Yaotao und Laurence in Yaotaos Heimat, nach China, zurückzukehren. Doch bald marschieren Soldaten der japanischen Armee durch Peking und Yaotao wird an der nordchinesischen Front als Arzt stationiert. Für Laurence stellt sich die Frage, soll sie mit ihrem Sohn in ihre Heimat Frankreich zurückkehren?
In farbenfrohen Collagen aus digitalen wie analogen Foto- und Drucktechniken erzählt die in Shanghai und im Ruhrgebiet aufgewachsene Designkünstlerin Yi Meng Wu eine auf historischen Tatsachen beruhende chinesisch-französische Familiengeschichte, vom Leben und Beheimatetsein zwischen den Kulturen. Die chinesischen Zeichen, die Lucie auf ihrer Reise begleiten, tauchen immer wieder in allen Farben und Formen auf; vor allen Dingen JIA 家 für Familie.

Lea Herlitz


Bloß raus — mit Bildern gegen den Lagerkoller

Jihyun Kim: »Sommer«​​

Verlag Urachhaus, 2021. ab 5 Jahren.

Stadtflucht, Auszeit, Sommer, Freiheit, Natur, Abtauchen ... Sind das nicht Zauber- oder Sehnsuchtsworte der Zeit? Alles gar nicht so leicht möglich im Moment. Oder doch? Die koreanische Illustratorin und Grafikerin Jihyun Kim kann da helfen. In ihrem wunderschönen Bilderbuch dürfen wir dabei sein, wenn die ganze Familie samt Hund zur Oma in ihr Haus im Wald fährt. Mit dem kleinen Jungen und dem Vierbeiner entschwinden wir sogleich in die wohltuende Wildnis, in der jeder erlebte Moment unglaublich wertvoll und besonders wird. Auf allen Doppelseiten springt eine geballte Ladung Glücksgefühl und Lebensfreude über. Spätestens, wenn der Kleine von einem einsamen Steg in den See hüpft, möchte man doch selbst auch Anlauf nehmen ...
Ein wunderbares Bilderbuch zum Wegtauchen aus dem Alltag, ein Kurzurlaub, ein paar Augenblicke Genuss — aber auch ein großes Buch über das Zusammensein. Kopfkino für die ganze Familie, und das funktioniert völlig ohne Worte und mit wenig Farbe: Die tollen, in schlichten Grau-Blau-Brauntönen gehaltenen Zeichnungen lassen uns alle Freiheiten, die Welt so auzumalen, wie wir möchten. Tut das gut!

Petra Kassler

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Spasti, Zwerg und Arschgesicht

KIM Ryeo-Ryeong: »Eins – zwei. Eins – zwei – drei«

Aus dem Koreanischen von KIM Hyuk-Sook und Manfred Selzer. Baobab Books, 2020. Ab 14 Jahren.

Frech, frisch, unkonventionell, dazu eine gute Portion Witz und ironischer Tiefgang gemixt mit sehr viel Feingefühl und Scharfsinn — die entscheidende Messerspitze Empathie nicht zu vergessen – und heraus kommt ein Roman vom Rand (der Megacity Seoul), perfektes Futter für die Generation Smartphone und feine Sache auch für andere Jahrgänge, denn er bringt Schwung. Eins, zwei – eins, zwei, drei. Das ist eine Step-Abfolge beim Kickboxen, existentiell wichtig für den 17-jährigen Protagonisten Wan-Duk. Das klingt auch nach Cha-Cha-Cha, den Wan-Duks zu klein geratener Vater und ein mental minderbemittelter Onkel in seltsamen Etablissements vortanzen. Sie machen sich zum Gespött der Kneipengäste, um den Lebensunterhalt für ihre ungewöhnliche Familie auf dem Dach eines Hochhauses zusammenzukratzen.
In so originellen wie intelligenten Dialogen entfaltet sich der Alltag des Schülers Wan-Duk und sein hartes Training der Schrittfolgen, die ihn in einen Takt mit seinem Umfeld und sich selbst bringen sollen — mit den ganzen „verskillten“ Charakteren, die man „nicht einfach neu leveln kann“. Sie sind von der Autorin so messerscharf gezeichnet, dass man meint, mit ihnen bei Instantreis und ollem Suppenhuhn in der bescheidenen Behausung zu sitzen und zu quatschen. Ein Comic ohne Sprechblasen und Zeichnungen — dennoch poppen reichlich Bilder im Kopf auf. Der Ton ist ruppig und rüpelhaft, Tätlichkeiten normal, und doch akzeptiert und reflektiert man sich in seiner Schrägheit, mit seinen Unzulänglichkeiten, im Anderssein — wohltuend menschlich. Schwachkopf und Idiot könnten Kosenamen sein. Man fühlt sich gut, vor allem mit Wan-Duk, der trotz Selbstzweifeln step by step sein »alles andere als beneidenswertes« Leben zu rocken lernt; er checkt, dass »die Summe kleinerer Tage einen großen ergibt«. Hallo »Pubertiere« hier bei uns: Macht Euch Wan-Duk unbedingt zum koreanischen Verbündeten.

Petra Kassler

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Das Rezept zum Abheben

Baek Hee Na (Text & Gestaltung) / Kim Hyang Soo (Fotografie): »Wolkenbrot«

Aus dem Koreanischen von Christina Youn-Arnoldi. Mixtvision, 2009. Ab 3 Jahren.

Wer träumt ihn nicht, den Traum vom Fliegen? Ganz unverhofft erfüllt sich dieser Traum für zwei Katzengeschwisterkinder, die an einem regnerischen Morgen auf der Straße stehen und in den grauen Himmel gucken. Dort pflücken sie ein zartes Wölkchen von einem Ast, aus dem in Mamas Küche und mit dem richtigen Rezept – man nehme Wolke, Milch, Hefe, Salz und Zucker – in Windeseile köstliche Wolkenbrötchen werden. Ein Biss davon – und man hebt ab. Spaßig ist das allemal – aber kann so vielleicht auch dem Katzenpapa geholfen werden, der ohne Frühstück und dafür mit reichlich Verspätung das Haus verlassen hat, um mit dem Bus zur Arbeit zu fahren?  

Absolut besonders an Baek Hee Nas Werk sind ihre Collagen: Aus verschiedensten Materialien bastelt sie die Welt der kleinen und großen Katzen – Papier für die Katzengesichter, Drähte für Schnurrhaar und Ofengitter, Watte für die kleine Wolke, Stoff für Küchenschürze und Regenmantel. Fotografisch wunderbar in Szene gesetzt werden diese Collagen von Kim Hyang Soo. Gemeinsam schafft das Künstlerduo so eine plastische Kinderbuchwelt, die wie eine Theaterbühne für eine besonders phantasievolle Geschichte wirkt, die zum Staunen und Träumen einlädt.

Hanna Kopp

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Das Glück hat das Gesicht eines Schnappers

Melba Escobar de Nogales (Text) / Elizabeth Builes (Ill.): »Das Glück ist ein Fisch«

Aus dem Spanischen von Jochen Weber. Baobab Books, 2018. Ab 9 Jahren.

Ein großer Verlust kann doch auch immer ein Anfang von etwas sein — das erfahren die kleinen Leser*innen hier auf wohltuend beiläufige und wunderbar empathische Weise. Ganz plötzlich tun sich im tiefsten Trennungsschmerz neue Horizonte auf und man kann fremde, unentdeckte Wege einschlagen, um wieder sehr glücklich zu werden. Weitere Erkenntnis für die Kleinen: (Selbst)Vertrauen ist in jedem Fall eine gute Sache!
Zudem ist das Buch abenteuerlich gewürzt und mit wunderschönen Zeichnungen toll aufgemacht. Es eignet sich prima für Selbstleser ab der 3. Klasse — Jungen wie Mädchen, denn die Geschlechterzuweisung, die bei vielen Kinderbüchern ja schon von weitem über die Farbe und dann über den Titel funktioniert, ist hier angenehm abwesend. Ein Trost- und Mutmachbuch für alle Kids, dazu eine Abenteuergeschichte für Neugierige, die noch ein bisschen mehr Welt im Kinderzimmer haben wollen.

Petra Kassler

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Alltag an der Elfenbeinküste

Marguerite Abouet (Text) / Mathieu Sapin (Ill.): »Akissi – Auf die Katzen, fertig, los!« und »Akissi — Vorsicht, fliegende Schafe«

Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt, 2018 & 2019. Ab 6 Jahren. 

Akissi ist die kleine Schwester von Aya, deren Jugend uns aus dem gleichnamigen Comic der Autorin und des Zeichners Clément Oubrerie bekannt ist. Und nun erleben wir 15 kleinere und größre Abenteuer des jüngsten Familienmitglieds.
Akissi versucht, den Erwartungen der Eltern gerecht zu werden und sich gleichzeitig deren Kontrolle zu entziehen. Manchmal wird sie von ihren Freundinnen unterstützt, manchmal muss sie sich gegen ihren Bruder Fofana und seine Freunde durchsetzen. Dabei tappt sie in einige Fallen und tritt in manches Fettnäpfchen. Doch selbstbewusst und unerschrocken begegnet Akissi jeder Herausforderung.

Genauso überzeugend wie diese alltäglichen Dramen erzählt sind, sind sie auch illustriert. Das Leben im Haus und auf den Straßen von Abidjan ist pointiert und lebendig gezeichnet. Und nun gibt es einen zweiten Band, juhu!
Dieser führt zu den Großeltern aufs Land. In dieser frechen Darstellung folgt man den Kindern nur zu gern durch den Alltag. Vieles wird hiesigen Leserinnen und Leser so nicht ganz vertraut sein, in Akissi werden sie sich aber bestimmt wiedererkennen.

»Akissi« ist eine Empfehlung der Redaktion Kolibri — kulturelle Vielfalt in der Kinder- und Jugendliteratur, Baobab Books, Basel: www.baobabbooks.ch und wir von Litprom finden die beiden Bände genauso toll.


Kleinsein ist relativ

Taltal Levi: »Ein Fingerhut voll Mut«​​

Aus dem Englischen von Elisa Martins. NordSüd Verlag 2019. ab 4 Jahren.

Wenn man kaum größer ist als ein Weberknecht, kann eine ganz normale Wohnung zum tollsten Abenteuerspielplatz werden. Eine große Motte schaut da gerne zu, Zimmerpflanzen sind Kletterbäume, die Stecknadel ein Schwert, in ein halbvolles Glas Wasser macht man einen Köpper und balanciert auf der Klorolle. Alles macht so richtig Spaß. Bis plötzlich ein monströser Schatten auftaucht! Da hilft nur noch: Fingerhut aufsetzen und unters Bücherregal verkrümeln, samt Spinne. Aber das soll das Ende des lustigen Lebens sein? Geht gar nicht, also bloß nicht aufgeben, auch nicht, wenn man wirklich winzig ist. Man nimmt seinen ganzen Mut zusammen und stellt sich dem Ungeheuer, verteidigt sein Revier. Das schreckliche Monstrum erweist sich als schnurrende, kuschlige, verspielte Katze. Ein Kamerad ist gefunden, und gemeinsam kann man noch besser das Terrain sondieren und sogar neue Gebiete erobern — wo noch größere (bestimmt ebenfalls nette) Schatten lauern.
Ein wunderschönes Spiel mit Dimensionen, eine phantasievoll gezeichnete Mutmachgeschichte für egal wie Kleine, die gute Laune bringt und beweist, dass man über sich hinauswachsen kann. Dabei hilft schon ein Fingerhut und auf jeden Fall irgendeine Art von Freund.

Petra Kassler

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Eine Geschichte aus der Großstadt

Eymard Toledo: »Juju und Jojô«

Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler, Baobab Books, 2019. Ab 5 Jahren.

Juju und Jojô sind Zwillinge. Sie wohnen gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Hochhaus, mitten in einer Großstadt. In dieser Betonwüste wachsen sie auf. Früher, so wird ihnen erzählt, sei das Haus, in dem sie wohnen einmal das höchste der Stadt gewesen. Diese Zeiten sind lange vorbei, denn um den Himmel nun vor lauter Häusern noch zu sehen, muss man den Kopf ganz weit in den Nacken legen. Selbst ein Flugzeug sieht man nur kurz, bevor es hinter Dächern verschwindet. Aber vor dem Haus steht ein Jabuticabaum. Den hat der Vater der Mädchen gepflanzt, als sie noch klein waren. Jetzt ragt er bereits bis zu ihrem Balkon hinauf. Im grauen Dickicht der Stadt spendet er Schatten und süße Früchte, bringt aber auch Schmetterlinge, Raupen und Ameisen mit sich. Für die interessiert sich Juju ganz besonders. Sie beschützt, pflegt und beobachtet sie. 
Liebevoll beschreibt die Autorin Eymard Toledo das Leben der beiden Kinder im urbanen Dschungel. Der Jabuticabaum ist dabei Zentrum ihrer Lebenswelt und gleichzeitig ein eigenes Universum.
Am Ende des Buches findet sich dann sogar noch eine sorgfältig und verständlich erklärte Übersicht all der Insekten, die auf dem Baum leben. Ganz besonders schön: Die Autorin illustriert selbst — und das mit faszinierenden Collagen. Das Material hierfür, Servietten, Geschenkpapier oder Verpackungen, würde sonst in der Mülltonne landen.

Marie Thomas

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Warten auf den Frühling

Ko Okada (Text) / Chiaki Okada (Ill.),​: »Bist du der Frühling?«

Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, Moritz Verlag, 2019. Ab 3 Jahren.

Das japanische Ehepaar Chiaki und Ko Okada präsentieren ihr Debüt auf dem deutschen Buchmarkt und bringen damit etwas ganz besonderes in die Bücherregale. Chiaki Okadas feine Zeichnungen, unterstützt von Ko Okadas Text, erzählen stimmungsvoll vom Warten einer Hasenfamilie auf den Frühling. Besonders sehnsuchtsvoll ist das jüngste Familienmitglied: Das Hasenkind, welches den Frühling noch nicht kennt und von der stets gleichen Winterkost – Bucheckernsuppe tagein, tagaus – die Nase voll hat. Was der Frühling eigentlich genau ist, darauf kann sich der kleine Hase keinen Reim machen, aber er scheint voller guter Versprechungen: auf die höchsten Bäume klettern und das Meer glitzern sehen, zu beobachten, wie der Schnee schmilzt und die Blätter sprießen. Als er eines Morgens ganz allein einem unbekannten Geräusch folgt, begegnet er einem neuen Freund – oder dem Frühling?

Autor und Illustratorin gelingt hier mit wenig ganz viel: Zurückhaltend-zart kolorierte Zeichnungen, kurze, aber treffende Textpassagen – so kommt ein atmosphärisches Bilderbuch über den Winter im Wald und das allseits bekannte Warten auf den Frühling zustande.

Hanna Kopp

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Schuss und Sprung!

Claudia Rueda: »Hase fährt Ski«

Aus dem Englischen übersetzt von Anja Malich. Gerstenberg. Ab 3 Jahren.

Schütteln, klopfen, drehen und wenden – nur mit vollem Einsatz von kleinen und großen Leser*innen beginnt für den Hasen in Claudia Ruedas Bilderbuch »Hase fährt Ski« ein aufregendes Schneeabenteuer. Ausgerüstet mit knallrotem Schal, Skiern und Stöcken stellt der kleine Hase fest, das ihm etwas ganz Essentielles fehlt, um die Piste unsicher zu machen: Schnee. Vielleicht können ihm die Leser*innen hier behilflich sein? Schnell ist das Buch geschüttelt und der kleine Hase versinkt bis zu seinen langen Ohren im Schnee. Einmal abgeklopft geht es los – doch halt, da fehlt doch noch ein steiler Hang, den der Hase mit Schwung herunterbrausen könnte! Doch auch hier können die kleinen Leser*innen behilflich sein – flugs ist das Buch schräg gehalten und dem Hasen weht der Fahrtwind um das Näschen. 

Claudia Ruedas Bilderbuch überrascht mit seinem interaktiven Ansatz, der die Leser*innen mit auf die Piste nimmt, über Stock, Stein und so manchen Graben. Texte und Bilder sind knapp gehalten – aber voller Witz und Lässigkeit. Ein wahrer Spaß – im Winter wie im Sommer!

Hanna Kopp

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Bettlektüre für die ganz kleinen Mäuse

Tomoko Ohmura: »​Schlaft recht schön!«

Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, Moritzverlag 2018. Ab 2 Jahren.

Mit diesem Pappbilderbuch voller netter Tiere der Japanerin Tomoko Ohmura möchten sicher die Allerkleinsten nur all zu gern ins Bett gebracht werden. Dann träumen sie nämlich von den so liebevoll gezeichneten Marienkäferchen, den Fröschen in ihren Bettchen auf Seerosen, den Eichhörnchen und ihrem Vorrat an Leckereien, der Igelfamilie im Laub oder von den Bären mit Kopfkissen aus Ästen. Und morgens sind sie froh, dass sie nicht den ganzen Winter verschlafen haben. Geeignet zum Vorlesen auch schon für Käfer unter 2 Jahren.

Petra Kassler

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Gebrauchsanweisung für Nachwuchs

Isol: »Das Kleine. Nach einer wahren Geschichte«

Aus dem Spanischen von Karl Rühmann. Jungbrunnen 2018. Ab 4 Jahren.

Heißer Tipp für alle zukünftigen oder ganz frischen Mamas und Papas: Unbedingt beim Einkauf der diversen Babyratgeber Isols Einführung in Leben, Wesen und Wirken des »Kleinen« mitnehmen! In welchem anderen Buch erfahren die Mitmenschen der Kleinen so anschaulich, so witzig und ohne komplizierte Umschweife, was es bedeutet, wenn so ein Kleines in ihre Welt hereinbricht? Wir lernen, wie das Kleine tickt und funktioniert, wie man es handhaben kann. Dass nichts mehr ist, wie es war, wenn es kommt. Dass es nötig sein kann, die Kack-Fee zu rufen; dass man Durcheinander aushalten können muss und womöglich nicht weiß, welcher Wochentag ist; dass es den Großen gute Laune macht und dass die dann vergessen, wie es war, als das Kleine noch nicht da war ...
Größere Geschwister sollten sich auf jeden Fall auch der Lektüre und den tollen Zeichnungen hingeben, es macht einfach Spaß.

Petra Kassler

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Das Rätsel um den Koffer

Pei-Yu Chang: »Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin«

NordSüd, 2017. Ab 5 Jahren.

Dieses Bilderbuch ist ein wirklicher Schatz: Tiefsinnig erzählt und wunderschön illustriert die in Taiwan geborene Autorin Pei-Yu Chang die Geschichte des großen Denkers Walter Benjamin. Benjamin, der 1933 nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland nach Frankreich ins Exil ging, wagte 1940 mit Hilfe von Lisa Fittko, Widerstandskämpferin und Fluchthelferin, die Flucht über die Pyrenäen nach Spanien. Mit im Schlepptau: ein schwerer, geheimnisvoller Koffer mit rätselhaftem Inhalt. Benjamins Flucht misslang — er verschwand, genauso wie der Inhalt des Koffers. Was wohl darin war? Die Autorin ist sich sicher – es muss etwas Außergewöhnliches gewesen sein.

Besonders begeistert haben uns die verschiedenen Typografien, Mal- und Zeichentechniken, die Chang mit ihren klugen kurzen Texten verwebt. Kindgerecht abstrahiert sie Benjamins Geschichte, jedoch ohne diese jemals zu verharmlosen. Mit Wärme und wachem Blick und Ton spricht sie von Flucht, Vertreibung und der Notwendigkeit sich selbst und seinem Denken treu zu bleiben.

Hanna Kopp


Beim Zeichnen von Seepferdchenmännchen

Rambharos Jha: »Wasserwelten«

Aus dem Englischen von Eveline Masilamani-Meyer. Baobab Books, 2016.
Siebdruck, handgemacht, nummerierte Ausgabe.

Bei diesem Kunstbilderbuch aus Indien leuchten nicht nur Kinderaugen! Umwerfend schöne Bilder von Lebewesen am, im und unter Wasser werden begleitet von alten tamilischen Gedichten und den Gedanken des Illustrators beim Zeichnen — Groß und Klein werden gleichermaßen begeistert sein.  So toll wie das Produkt auch die Umstände seiner Entstehung: handmade in einer indischen Druckerei, in der alle Mitarbeiter*innen Ausbildung, Mitspracherecht und angemessene Vergütung erhalten — ein fair trade-Buch oberster Güte.

Petra Kassler

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Keine Angst vorm schwarzen Etwas!

Reza Dalvand: »Etwas Schwarzes. Ein Bilderbuch aus dem Iran«

Aus dem Persischen von Nazli Hodaie. Baobab Books 2017. Ab 5 Jahren.

Inmitten des leuchtend bunten Waldes zwischen grün und rot schillernden Bäumen liegt eines Tages etwas Schwarzes. Die Tiere des Waldes beschnuppern das unbekannte Objekt kritisch und befinden sich alsbald in heller Aufregung: Der Leopard sorgt sich, er hätte einen seiner schwarzen Flecken verloren; der Rabe ist überzeugt, der Himmel über dem Wald stürze ein; die Eule ist sich sicher, das kleine schwarze Etwas sei ein Drachenei. Alle sind sich einig, das Unbekannte wird Unglück über den Wald und seine Bewohner bringen. Und was passiert dann?
Farbenfroh und liebevoll erzählt und zeichnet der junge Iraner Reza Dalvand eine Fabel über den Umgang mit dem Unbekannten für kleine und große Bilderbuchfreunde — ganz ohne pädagogischen Zeigefinger und mit einer guten Portion Humor.

Hanna Kopp

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