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Der LiBeraturpreis 2017 geht an die iranische Schriftstellerin Faribā Vafī, die mit ihrem Roman »Tarlan« (Sujet Verlag 2015) die Leserinnen und Leser überzeugte.
Die Weltempfänger-Jury: Im Iran hat der Schah abgedankt, das Land ist im Umbruch. Auch die junge Tarlan sucht ihren Weg in den Umwälzungen. Eher aus Frust denn aus Lust wird sie Polizistin. Was wie eine Flucht nach vorne anmutet, entpuppt sich zwischen den Zeilen als eine hintergründige Befragung der Revolutionsgeneration und ihrer Rollenbilder aus Sicht der Frau. Ein leiser Roman, der es in sich hat.
(Claudia Kramatschek)
Die Preisverleihung fand am 14. Oktober 2017 auf der Frankfurter Buchmesse statt. Die Laudatio hielt der Schriftsteller SAID.
Die Laudatio nachlesen
Das Gespräch mit der Laureatin am ARTE-Stand auf der Buchmesse auf hessenschau.de ansehen
»In Unfreiheit geschrieben sei „jedes Werk unvollständig, kastriert - egal, ob es von einer Frau oder einem Mann geschrieben worden ist“, so Vafi. Morgen (14. Oktober) erhält Fariba Vafi den LiBeraturpreis der Frankfurter Buchmesse«
Ein Interview auf der Website der Deutschen Welle
Fariba Vafi: "Schriftsteller haben im Iran keinen Einfluss" Sie ist eine der populärsten Schriftstellerinnen im Iran, und ihre Werke wurden vielfach übersetzt. Warum ihr Erfolg und ihr Schreiben in ihrer Heimat trotzdem keine Wirkung erzielt, erklärt Fariba Vafi im DW-Interview.
»Ein Psychogramm des Iran — Eine Feierstunde der Weltliteratur gab es am Samstagnachmittag auf der Bühne des Weltempfangs der Frankfurter Buchmesse: Die iranische Autorin wurde für ihren Roman "Tarlan" (Sujet Verlag) mit dem LiBeraturpreis 2017 ausgezeichnet. "Sie erzählt und eröffnet Routen", so der Laudator SAID.«
Ein Bericht auf boersenblatt.net
»LiBeraturpreis für die iranische Autorin Fariba Vafi — Ihr Thema sind die Frauen. Sie schreibt über Familienentwürfe und Rollenzuweisungen, über Freiheit, Widerstand und Gewalt. Für Ihren Roman "Tarlan" wurde Fariba Vafi jetzt mit dem LiBeraturpreis 2017 ausgezeichnet.«
Deutsche Welle
»LiBeraturpreis für Faribā Vafī: Am Messe-Samstag wurde im Zentrum Weltempfang der 29. LiBeraturpreis an die iranische Schriftstellerin Faribā Vafī überreicht.«
BuchMarkt
»Gespräch mit Faribā Vafī: Frauen treten hervor.« Im Gespräch mit Andrea Pollmeier von Faust Kultur spricht sie über ihren Roman »Tarlan« (Sujet Verlag), die gleichnamige Protagonistin und deren Schicksal in einer patriarchisch organisierten Welt.
„My aim is to help those gifted women who are unable to flourish their abilities due to social and economical obstacles” sagt Faribā Vafī, LiBeraturpreisträgerin 2017, über den Workshop für kreatives Schreiben, den sie seit einiger Zeit im Iran leitet. Dieser Workshop soll den Teilnehmer*innen helfen, ihre eigene Stimme, ihre Themen wie auch ihren Stil zu finden.
Bewusst habe sie ihn deshalb so gestaltet, dass er die Imagination anrege, so die Autorin Vafī. In kurzer Zeit lässt sie die Teilnehmerinnen Texte schreiben, die im Anschluss im Plenum diskutiert werden. Sogar verschiedene ‚Hausaufgaben’ verteilt sie in jeder Stunde. Sie sollen die Teilnehmerinnen dabei unterstützen, Erzählkompetenzen und Ideen zu entwickeln.
Rund 50 Personen nehmen an Vafīs Workshop teil. Knapp bemessen sei aber der Platz in ihrem Büro, weshalb sie die Nachwuchsschriftsteller*innen in fünf Gruppen aufgeteilt habe — eine sechste Gruppe konnte die Autorin mittlerweile andernorts unterbringen. Diese Gruppen lässt sie sodann verschiedene Stufen durchlaufen, um ihre Kompetenzen auszubauen. So haben sie zunächst die Möglichkeit, kurze Abschnitte zu schreiben und sie sich gegenseitig zu präsentieren, im späteren Verlauf — Vafi spricht hier von Levels — werden die Aufgaben aber präziser und detaillierter. Zusätzlich zum gegenseitigen Feedback der Teilnehmerinnen, gibt natürlich auch sie selbst ihnen ihre Einschätzung zu den Texten. Derzeit hat von 6 Gruppen eine bereits alle Level durchlaufen und trifft sich nun weiter monatlich, um am Ball zu bleiben.
Fariba Vafi erhofft sich von ihrer Arbeit vor allem, den Mut und das Vertrauen ihrer Teilnehmerinnen in das eigene Schreiben zu stärken. Sie will den Texten der Frauen zu mehr Handlungsdichte verhelfen. So habe sie mittlerweile bereits große Verbesserungen im Schreiben der Teilnehmer*innen bemerkt. Eine Überlegung sei es deshalb nun auch, die Ergebnisse auf einer Online-Plattform oder gar gedruckt zu veröffentlichen. Auf jeden Fall arbeite sie auch nach dem Ende der Workshops weiterhin mit ihren Schülern, um deren Stärken und Talente zu verdichten, so die iranische Schriftstellerin.
»Mein Dank gebührt zum einen den Stifterinnen dieses Preises, zum andern all denen, die heute hier versammelt sind, und natürlich gilt er allen Leserinnen und Lesern, die für meinen Roman gestimmt und mich bis zu diesem Ereignis heute begleitet haben.
Als ich meinen Namen auf der Liste der zehn Kandidatinnen sah, kamen mir die vielen anderen Listen in den Sinn, die in meinem Leben eine Rolle gespielt haben, wobei gleich die erste keine schöne Liste war. Die der Kinder nämlich, deren Geburtstag nicht als besonderes Ereignis galt und deshalb auch nicht gefeiert wurde. Denen zu Ehren man keine Kerze anzündete, wenn sie das Licht der Welt erblickten.
Ich dachte mir damals ideale, kinderliebe Eltern aus. Und diese imaginären Eltern schauten fast täglich bei uns vorbei, waren überglücklich, mich zu sehen, nahmen mich bei der Hand und wollten mich in mein wahres Zuhause mitnehmen. Bevor ich aber in den tollen Kinderwagen stieg, der, von allen Nachbarn gebührend bestaunt, vor der Tür auf mich wartete, wandte ich mich jedes Mal um und schaute die Eltern an, die ich hinter mir lassen würde. Entrückt wirkten die beiden, aus der Ferne betrachtet. Ich sah sie mit anderen Augen, sah, dass sie traurig waren, beängstigt, reumütig, und dass sie mich nicht ziehen lassen wollten. Ich zögerte, war plötzlich unschlüssig hin und hergerissen zwischen Gehen und Bleiben, und fragte mich, ob ich doch in mein früheres Leben zurückkehren, mich mit meinen normalen, groben, mitunter lieblosen Eltern abfinden oder, ohne zurückzuschauen, den Weg in mein neues Leben einschlagen sollte?
Damals habe ich gelernt, auf Distanz zu gehen, und fand bald viele andere Mittel und Wege, um mein Leben erträglicher zu gestalten. Ich verschob Dimensionen, variierte Größen, betrachtete Sachverhalte mal mit mehr, mal mit weniger Abstand, verlegte Ereignisse an wechselnde Orte, ließ Leute sich über die verschiedensten Dinge streiten und schlüpfte in die Haut jeder einzelnen Person. Mit der Zeit habe ich diese Taktiken auch beim Schreiben eingesetzt.
Jahre später stand mein Name auf anderen Listen. Zu Hause und in der Schule zählte ich zu den unartigen Träumerinnen, und dass der Wirbelsturm der Revolution mich auf die Liste derjenigen Mädchen und Frauen getragen hatte, die ihre Lage ändern und neue, modernere Wege gehen wollten, war mir zunächst gar nicht bewusst. Ich wollte nur weg, wollte meinen Namen aus diesen von Fremden bestimmten Listen gestrichen sehen, mein Leben in die eigenen Hände nehmen. Und mein ewiges Ringen war eng verknüpft mit dem Kampf der einfachen Leute auf der Straße, in den Basaren. Auch sie mühen sich seit jeher, um aus den Sackgassen auszubrechen, der Enge zu entfliehen, die ihnen die Gesellschaft auf ewig zugedacht und auferlegt hat. Ich teilte diesen Wunsch der kleinen Leute, strampelte mich unterdessen noch lange, aber unbeirrt, auf vielen weiteren Listen ab, bis ich es eines Tages endlich aus eigener Kraft auf eine Liste schaffte, über die ich selbst die Kontrolle hatte: die der Schreibenden nämlich.
Meinen Namen auf der Liste der zehn Kandidatinnen für den LiBeraturpreis 2017 zu finden, hat mir große Freude gemacht. Zugleich aber wurde ich an den langen Weg erinnert, der hinter mir lag. Und so schaute ich zurück, weniger in der Zeit, als vielmehr auf die Zwänge, die mein Leben schon früh bestimmt haben, auf die vielen Unmöglichkeiten, aus denen sich bisweilen Möglichkeiten ergaben. Ich ließ die vielen Augenblicke Revue passieren, in denen man wechselweise mal die Hoffnung, mal die Hoffnungslosigkeit aufgab, Momente, in denen man Wörter und Worte fand und Momente, in denen man Listen über Gewesenes hinter sich lassen konnte und in Listen über Werdendes Eintragung fand.
Dass ich heute hier sein kann, ist für mich in vielerlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen fühle ich mich, durch die große Bestätigung gestärkt, mit neuen Leserinnen und Lesern, mit weiteren, verlockenden Horizonten verbunden, zum andern begierig Suchenden nah, Mädchen und Frauen vor allem, deren zahllose Namen ohne ihr Zutun zwangsweise auf Listen stehen. Sie hegen und schützen ihre Wünsche und Träume mutig und mit Bedacht, und es wird ihnen, kraft ihrer eigenen Wörter eines Tages gelingen, diese lästigen Listen loszuwerden. Vielen Dank.«
Aus dem Farsi von Jutta Himmelreich.
Ines Pohl, Chefredakteurin der Deutschen Welle:
»Die Schirmherrschaft beim LiBeraturpreis habe ich sehr gern übernommen. Ich gratuliere der Preisträgerin Fariba Vafi ganz herzlich und möchte auch die Glückwünsche der Farsi-Redaktion der Deutschen Welle übermitteln. Journalistinnen und Schriftstellerinnen verbindet die Wirkung des Wortes.
So spielen die Geschichten von Fariba Vafi nur vordergründig fernab der Politik: Ihre Frauenfiguren analysieren selbstbewusst vorgegebene Rollenbilder und suchen sich ihren eigenen Weg. Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist ein wichtiges Element auch in der Wertewelt der Deutschen Welle. Dass mit dieser Auszeichnung das Augenmerk auf die literarische Arbeit herausragender Frauen gerichtet ist, deren Literatur auch ein Instrument sein kann, um genau diese Werte einzufordern, macht alle stärker, die dafür eintreten.«
"Fariba Vafi ist eine Ausnahmeerscheinung in der iranischen
Literatur. Während die kulturelle Öffnung in der Islamischen Republik
auch nach der Wiederwahl von Präsident Hassan Rouhani stagniert,
schreibt und veröffentlicht Vafi weiter in atemberaubendem Tempo. Nur
vordergründig spielen ihre Geschichten und Romane dabei fernab der
Politik: Ihre Frauenfiguren analysieren selbstbewusst vorgeschriebene
Rollenbilder und suchen sich ihren eigenen Weg. Maryam Aras stellt die
Autorin auf faustkultur.de vor.
"Tarlan macht sich während ihres Aufenthalts in der Kaserne Notizen für ein „Panorama“ und ein „Schwarzbuch“, das sie schreiben will. Und genau ein solches Panorama über die junge iranische Republik aus weiblicher Sicht ist der Autorin Fariba Vafi mit ihrem zweiten Roman gelungen. Wie in Kellervogel besticht den Leser auch hier eine distanzierte und unaufgeregte Erzählweise, die allerdings auch nötig ist, um Tarlans Emanzipation zur damaligen Situation sachlich zu schildern – mit all den Restriktionen infolge gesellschaftlicher Konventionen, aber auch infolge der politischen Entwicklung." (Behrang Samsami, literaturkritik.de)
"Die Identität der Frauen im Iran hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt, das dürfte jedem klar sein, der sich in der iranischen Gesellschaft umsieht. Diese Veränderung hat auf vielen verschiedenen Ebenen stattgefunden: Die größte Veränderung ist wahrscheinlich das starke Selbstbewusstsein der Frauen, das heute überall spürbar ist." (Faribā Vafī im Interview mit Maryam Aras, Qantara.de)
"Und obwohl weder Religion noch Politik an irgendeiner Stelle explizit erwähnt werden, ist jede Zeile mit einem politischen Subtext unterlegt: Hat der Mensch auch in einer Diktatur die Chance und das Recht auf Glück? Ist das Leben in einer persönlichen Nische Feigheit? Ist Freiheit alles? Lohnt es zu bleiben, und welchen Preis muss man für das Exil zahlen?" (Sabine Berking über »Kellervogel«, faz.de)