Der »Weltempfänger« nominiert seit 2008 Übersetzungen belletristischer Werke aus aller Welt, um herausragende literarische Stimmen im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen.
Die aktuelle Sonderausgabe der Bestenliste »Weltempfänger« richtet den Blick in den Iran, da die Proteste dort die Aufmerksamkeit der Welt verdienen — und brauchen.
Eine aufklärende Entdeckungsreise: Die iranische oder auch iranischstämmige Literatur erzählt so vielstimmig wie vielseitig von den Verhältnissen, gegen die sich die Proteste richten sowie von den Welten, die sich hinter den Kulissen der Macht in der Gesellschaft entdecken lassen.
Kuratiert wurde die Sonderausgabe von Anita Djafari und Ulrich Noller. Aktive und ehemalige Juror*innen der Bestenliste Weltempfänger sowie weitere Expert*innen für persische Literatur geben persönliche Leseempfehlungen: neun Romane, vier Gedichtbände und eine Graphic Novel. Da es sich nicht wie sonst um eine Rangliste handelt, sind die Titel zufällig angeordnet.
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Der »Weltempfänger« wird auch als doppelseitiges Streifplakat verschickt, das gerne kostenfrei bestellt werden kann. Schreiben Sie uns an: litprom@buchmesse.de
Im März 2023 erscheint mit dem 58. »Weltempfänger« die nächste reguläre Ausgabe.
Familien und Beziehungen sind kompliziert. Wie lebt man miteinander, wie funktioniert dieses »Du«, mit dem Protagonistin Scholeh die Untiefen des heimischen Alltags seziert? Ihr Bruder träumt von Tibet statt Teheran. Ein eleganter Roman von einer gewichtigen Stimme der iranischen Gegenwartsliteratur.
Gerrit Wustmann
Volksmythologie und postmoderner Roman — meisterlich verbindet »Die geheime Schrift« beides. Esmail ist aus dem Iran geflohen, mit einem Manuskript, das sein taubstummer Vater in einer von ihm erfundenen Keilschrift verfasst hat und in dem er auf seine Weise die Geschichte seines Lebens erzählt. Esmail bewahrt seiner analphabetischen Familie über dieses erschütternde Selbstzeugnis die Treue und entwickelt sich doch zugleich zum europäischen Intellektuellen.
Karl-Markus Gauß
Iran in den 1950er Jahren: Fünf Frauen brechen aus ihrem Leben aus und treffen sich in einem Garten nahe Teheran. Shahrnush Parsipurs Roman changiert zwischen Poesie und Realismus, beglückt mit beißendem Humor und gesellschaftlicher Scharfsichtigkeit und wurde 1990, kaum erschienen, sofort verboten.
Ines Lauffer
Azadi heißt Freiheit — und dieses letzte der 16 Wörter übertitelt das letzte Kapitel dieses eindrucksvollen Romans. Mona ist zurück in Köln, wo sie lebt. Zuvor ist sie zur Beerdigung ihrer Großmutter in den Iran gereist und hat begonnen, ihre Familiengeschichte, ihr Leben in Deutschland und vor allem den Iran besser zu verstehen.
Sonja Hartl
Wie sah das weltoffene Teheran vor den Mullahs aus? Wo ist die Grenze zwischen
Opfern und Tätern? Cheheltan stellt existentielle Fragen. Zeiten, Orte, Figuren
oszillieren und mit ihnen Iradji, der Held, Exilant und Heimkehrer, schuldlos schuldig geworden, eine verwundete Seele wie viele in diesem bewegenden, unvergesslichen Roman.
Cornelia Zetzsche
Hafis' Diwan gilt bis heute in der iranischen Welt neben dem Koran als meistgelesenes Buch. Und doch könnte es nicht verrufener und verruchter sein.
Zumindest aus der Sicht der Mullahs, ihrer Sittenwächter und Schergen. Mit seinen Ghaselen aus dem 13. Jh. schlägt Hafis den Takt der Rebellierenden, die für die Liebe zu ihrer Lust / Freiheit ihr Leben riskieren. »Wer der Liebe Wein ergeben, säet guter Werke Saat.«
Ruthard Stäblein
Gedichte wie philosophische Betrachtungen, die Vergänglichkeit, Liebe und individuelle Erfahrungen beschreiben. Mal kurz wie Haikus, aber auch mit langem Atem erzählt der Lyriker und Übersetzer Ali Abdollahi von Unterdrückung und Widerstand, behauptet sich trotzig mit sanften Metaphern gegen jede propagandistische Phrase.
Carsten Hueck
Wissen Sie, woher Ihr blaues Auge rührt? Ob Ihr Kind in der Schule ist? Fragen Sie sich, ob Sie eine gute Mutter sind? Ob Ihr Mann heimkommen, wie Ihre Zukunft aussehen soll? Auf einer Autofahrt durch Teheran durchquert eine junge Mutter an einem halben Tag auch ihr ganzes Leben und spürt: Sie muss es ändern. Selten wurde so Schweres so dynamisch, kurzweilig und gekonnt erzählt.
Jutta Himmelreich
Einmal den sagenumwobenen Simurgh sehen! Ein Schwarm Vögel macht sich auf den beschwerlichen Weg durch sieben tiefe Täler. Es ist der Sufi-Pfad der Selbsterkenntnis. Ein mittelalterliches Meisterwerk von Fariduddin Attar. Illustriert von Mohammad Barrangi: Moderner Laserdruck meets persische Ornamentik.
Katharina Borchardt
Coming of Age: Eine Berliner Straßen Gang Story, die die gängigen Gangster Klischees elegant dekonstruiert; rund um das Aufwachsen zweier persischstämmiger Brüder in einer arabisch dominierten Nachbarschaft. Doppelte Fremdheit, auch für den Vater. Die abwesende Mutter ist in dieser Geschichte doch zentral — sie wurde vor der Flucht in einem Teheraner Gefängnis exekutiert.
Ulrich Noller
Die Graphic Novel ist aktueller denn je. Aus der Perspektive des Mädchens Marji erzählt Satrapi von der jüngeren Geschichte Irans. Von Alltag und Widerstand nachder Machtergreifung der Islamisten um 1979. Das ist bei aller Tragik humorvoll, spannend und künstlerisch sehr gelungen. Ein großes feministisches Werk der Weltliteratur.
Andreas Fanizadeh
Ein Playboy während der Revolution und im iranisch irakischen Krieg. Und zwei Engel, die sein Leben erzählen, der eine das Gute, der andere das Schlechte. Das ist die Ausgangslage von Shahriar Mandanipurs phantastischem Roman, der eine ganze Epoche einfängt, atemlos und bilderreich. Eine Epoche, die hoffentlich ihrem Ende entgegengeht.
Navid Kermani
»Behalte den Flug im Gedächtnis — der Vogel ist sterblich«. Unsterblich sind die Verse der wichtigsten modernen iranischen Dichterin Forugh Farrochsād (1935-1967). Für ihre Lyrik wurde und wird sie von Lesenden wie Schreibenden gleichermaßen verehrt. In von literarischen Konventionen befreiter Sprache schrieb sie mutig undunverstellt gegen Religion und öffentliche Moral.
Anita Djafari
Abbas Maroufi war der große iranische Romancier der Gegenwart. Seine Romane sind komplexe Konstrukte aus Traum und Traumatisierung, aus Wunsch und Verwünschung. Zu entdecken wäre die literarische Familienaufstellung »Fereydun hatte drei Söhne«, wunderbar übersetzt von Susanne Baghestani, ein zutiefst humaner Blick in die Abgründe von Gewalt, Aufruhr und Exil. Abbas Maroufi ist viel zu früh 2022 verstorben.
Ilija Trojanow
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